Abb. 1: Jimmy Pike, Jarlujangka Wangki, 1985, Siebdruck, 33,1 x 39,2 cm, abgedruckt in: Haus der Kulturen der Welt (Hg.): Jimmy Pike, Edition Cantz, Stuttgart 1990, S. 47
Die narrative Kunst indigener Australier handelt nicht nur von mythologischen Geschichten, sondern auch von Geschehnissen aus der jüngeren Vergangenheit. Jimmy Pike erzählt zu seinem Siebdruck: "Dies ist eine wahre Geschichte. Ein paar Leute gingen in der Nähe des Wasserlochs jagen. Mein Vater war mit einer anderen Frau zur Canning Stock Route hinübergegangen und hatte Mutter und meine kleine Schwester am Wasserloch zurückgelassen. Eines Tages gingen sie vom Wasserloch aus jagen und machten ein Feuer im Spinifex-Gras. Ein großes Feuer mit hohen Flammen, sie standen abseits. Die kleinen Känguruhs rannten davon. Plötzlich hörten sie das Geräusch eines fliegenden Drachens, der die Erde überschwemmt. Das Flugzeug flog genau auf das Feuer zu und ließ etwas hineinfallen [eine Bombe]. Die Mutter und die Kinder versteckten sich erst im Gebüsch und gingen dann zum Wasserloch zurück. Später fanden sie an der Stelle kleine Blechteile von diesem Ding – sie sind heute noch dort." (f.t. S. 47)
Judy Watson, our bones in your collection, 1997, Radierung mit Chine Collé, 30 x 21 cm (Blatt 40 x 27 cm), abgedruckt in: Watson, Judy und Martin-Chew, Louise: Judy Watson blood language, Miegunyah Press, Darlton 2009, S. 173
1997 weilte Judy Watson im Rahmen des Programms „Artists in Residence“ bei Northern Editions in Darwin und fertigte eine Serie von drei Radierungen, die sich kritisch mit der Ausstellung von … in europäischen Völkerkundemuseen auseinandersetzen. Die Künstlerin hatte im Jahr zuvor einige Museen in Großbritannien besucht und Zeichnungen von Exponaten angefertigt, die von den Waanyi im Nordwesten von Queensland stammen, zu denen Judy Watson gehört. Durch die Überlagerung der Radierung mit Chine Collé verbirgt die Künstlerin die Exponate wie hinter einem Schleier, entzieht sie der direkten Betrachtung und zollt ihnen somit den erforderlichen Respekt.
Wie Graphik in die Wüste kam
Bis heute ist es nicht gewöhnlich, dass indigene Künstler, die außerhalb der Großstädte leben, mit Graphiktechniken arbeiten. Ein Grund dafür ist, dass weder die kleinen Orte, in denen die Künstler leben, noch die Künstlerkooperativen die nötigen technischen und finanziellen Resourcen für Druckpressen aufbringen können. Nur wenige erfahrene Drucker leben in diesen Gegenden. So gibt es auch heute nur wenige Art Centres, die für die Produktion von Graphiken gut ausgestattet sind.
Um den Künstlerinnen und Künstlern trotzdem die Möglichkeit zu geben, neue Techniken kennenzulernen und zu probieren, wurden sie zu Beginn der Neuen Kunstbewegung von erfahrenen Druckern in ihre Werkstätten in den Großstädten eingeladen. Auf diese Art entstanden einzelne Graphiken seit den 1970er Jahren. Einer der ersten Versuche, Graphik in den Kunstmarkt zu bringen, wurde von der Port Jackson Press unternommen, allerdings mit wenig Erfolg, weil der Markt damals eine sehr enge Vorstellung davon hatte, was indigene Kunst zu sein hatte.
Die erste bekannte Graphik wurde ein wenig früher – 1968 – im Gefängnis von Long Bay in Sydney von Kevin Gilbert gemacht, der dort einsaß. Auch Jimmy Pike gehörte zu den ersten Künstlern, die mit diesem Medium im Gefängnis von Fremantle arbeiten konnten. (1) Im gleichen Jahr begannen Bede Tungatalum und Giovanni Tipungwuti, die später die Tiwi Design-Druckerei betrieben, mit ihren einflussreichen Holzschnitten. Johnny Bulun Bulun und David Milaybuma machten 1979 Siebdrucke im Studio von Larry Rawlins. Mehr Graphiken entstanden an der Canberra School of Art, die seit 1976 eine Druckwerkstatt unterhielt. In den frühen 1980er Jahren wurde in Yirrkala sporadisch mit Druckgraphiken gearbeitet. Bekannt sind die Linolschnitte von Banduk Marika.
Den Durchbruch erfuhr die Arbeit mit verschiedenen Drucktechniken, als Leon Stainer 1993 an der School of Art and Design der Northern Territory University in Darwin eine Druckwerkstatt, die "Northern Editions", eröffnete, die später jahrelang von Basil Hall geleitet wurde. Ein Ziel war, den Künstlern, die keinen Zugang zu einer Druckwerkstatt hatten, dennoch Kenntnisse in Graphiktechniken zu vermitteln. Deshalb reisten die Mitarbeiter von "Northern Editions" zu den Künstlern im Kimberley, in den Norden oder das Zentrum Australiens, oder die Künstler kamen zu Workshops nach Darwin. Am Programm "Artists in Residence" nahmen nicht nur Künstler aus den ländlichen Regionen, sondern auch solche aus den Großstädten teil, z. B. Brook Andrew und Judy Watson. Bis zum Jahr 2000 hatte "Northern Editions" bereits 120 Editionen pro Jahr herausgegeben.
Mit Hilfe von "Northern Editions" begannen Künstler vieler Art Centres, nach und nach mit Druckgraphiken zu arbeiten, Ernabella Art Centre bereits 1993. Alice Nampitjinpa und Narputta Nangala Jugadai vom Ikuntji Art Centre in Haasts Bluff reisten 1998 zu einem Workshop nach Darwin. Der erste Graphik-Workshop in Yuendumu fand 1998 mit Paddy Japaljarri Sims und Andrea Nungurrayi Martin statt; die Künstler vom Warlayirti Art Centre in Wirrimanu begannen 1999 mit Graphikarbeiten.
Die Art Centres auf Tiwi, Bathurst und Melville Island sowie das in Maningrida waren die ersten, die Druckpressen ihr eigen nennen konnten und von "Northern Editions" ausgebildete Drucker beschäftigten.
Die zumeist verwendete Technik ist die Radierung. Weniger oft wird mit Lithographien und Siebdrucken gearbeitet. Holz- und Linolschnitt sind ebenfalls weniger verbreitet, aber durch prominente Künstler wie Banduk Marika oder bekannte Mappen wie die "Utopia Suite" (2) vertreten, die in die Sammlungen der National Gallery of Australia in Canberra, der Art Gallery of New South Wales in Sydney und des Kunstmuseums Spendhaus in Reutlingen aufgenommen wurde.
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Alice Nampitjinpa, Tali at Talaalpi, 1998, Radierung, abgedruckt in: Northern Editions (Hg.): Land Mark - Mirror Mark, Darwin o.J., S. 54
Drei Jahre, nachdem Alice Nampitjinpa ihre künstlerische Arbeit aufnahm, erhielt sie die Gelegenheit, bei "Northern Editions" Radierungen zu machen. Ergebnis war „Tali at Talaalpi“. Talaalpi ist der Geburtsort der Künstlerin, und Tali sind langgezogene feste Sanddünen, ein bei der Künstlerin immer wiederkehrendes Motiv. Die Radierung zeigt also das Land, das für Alice Nampitjinpa wichtig ist.
Anmerkungen
(1) Bis heute landet eine unverhältnismäßig hohe Zahl indigener Australier in den Gefängnissen. 2009 z. B. waren 25 % aller Gefangenen indigener Herkunft bei einem Bevölkerungsanteil von ca. 2,3 %. Die Chance, im Gefängnis zu landen, war für indigene Australier 14 Mal so hoch wie für nicht-indigene.
(2) Vollständig abgedruckt in: Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen (Hg.): Bilderwelten in Utopia. Holzschnitte und Gemälde von Aborigines, Speyer 2004, ISBN 3980707229
Weitere Literatur:
Anderson, S. und Smith, T. (Hg.): Getting into Prints. A Symposium on Aboriginal Printmaking, Association of Northern and Central Australian Aboriginal Artists, Darwin 1993
Northern Territory University (Hg.): Printabout. Lithographs, Etchings, and Lino Prints from the Northern Territory University Art Collection, Darwin 1993
Northern Editions (Hg.): Land Mark - Mirror Mark, Darwin, 2000
Haus der Kulturen der Welt (Hg.): Jimmy Pike, Edition Cantz, Stuttgart 1990, ISBN 3893223002
Watson, Judy und Martin-Chew, Louise: judy
watson blood language, Miegunyah Press, Darlton 2009, ISBN
9780522856583