Rindenmalerei

Die Malerei auf Rinde mit Erdpigmenten und natürlichen Bindern war nach der Malerei auf Felsen der nächste große Schritt in der Kunst der indigenen Australier. Es ist unbekannt, wann sie entstand und wie weit verbreitet sie war. Die australischen Quellen sagen dazu Unterschiedliches und Widersprüchliches. Sicher ist, dass es sie im 19. Jahrhundert gab, denn Missionare und Ethnologen haben Beispiele solcher Arbeiten auch in die europäischen Völkerkundemuseen getragen.

Nordost-Arnhem Land

In Arnhem Land lassen sich verschiedene Malrichtungen ausmachen: Im Nordosten haben die Yolngu, wie sich die Ersten Australier in diesem Teil des Landes nennen, einen komplizierten geometrischen Stil herausgebildet, dessen Ursprung in der Körperbemalung für Zeremonien liegt. Verbundene Sequenzen von Rauten, Vierecken, Ovalen und Dreiecken besitzen verschiedene Bedeutungen, die abhängig sind von ihrer Anordnung zueinander im Bild. Auf diese Weise kann das Repertoir von Symbolen geringer sein als die zugewiesenen Bedeutungen.

Beispiel für diese Art der Rindenmalerei ist das Bild von Jimmy Wululu von 1993 mit dem Titel "Niwuda Honey" - Niwuda ist eine Bienenart. Die weißen Linien der Rauten repräsentieren das Wachs und die punktierten Linien die Bienen bzw. ihre Larven. Diese Symbole sind das tragende Element einer radikal geometrischen Komposition. Präzision ist oberstes Gebot. Irrelevante Details oder gegenständliche Elemente sind ausgeschlossen vom Zusammenspiel zwischen einfarbigen und kreuzschraffierten Rauten, die in einem diagonalen Rhythmus angeordnet sind.

Die Yolngu-Künstler beabsichtigen, ihre Bilder in Brillianz erstrahlen zu lassen. Dazu verwenden sie die Technik des Rarrk, eine äußerst feine Kreuzschraffur, mit der ein Aufleuchten von Licht erreicht wird, wie im Bild von John Mawurndjul aus dem Jahr 2003 sichtbar wird. Das Bild ist mit dem Ortsnamen "Mardayin at Kudjarnngal" betitelt, der Ort, von dem die Künstler das weiße Pigment beziehen, das als Metapher für den Kot der Regenbogenschlange gilt und den Ort zu einem sakralen macht.

Zentral-Arnhem Land

Anders als im Nordosten besteht die Grundlage der Yolngu-Ikonographie in Zentral-Arnhem Land eher in den mythologischen Geschichten und nicht so sehr in einzelnen Symbolen. Zwar überwiegen narrative Elemente auch in dieser Malerei nicht unbedingt, erhalten aber ein größeres Gewicht. Um eine Geschichte oder den Teil einer Geschichte zu erzählen, wird die gesamte Oberfläche der Rinde als ein Kompositionsfeld betrachtet, wie im Bild von David Malangi aus dem Jahr 1982. größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 3: David Malangi, Sacred Sites of Milmindjarr, 1982, Erdpigment auf Rinde, 107 x 79 cm, abgedruckt in: Sutton, Peter (Hg.): Dreamings. The Art of Aboriginal Australia, Penguin Books Australia, Ringwood 1988, Ausst. Kat., S. 52 Die Symbole beschreiben oft Pflanzen, Salz- oder Trinkwasser, die in den Geschichten oder Liedzyklen eine Bedeutung besitzen. Die Wichtigkeit der figurativen Elemente wird hervorgehoben, indem sie nicht als Silhouetten umrissen, sondern mit Linien oder Kreuzschraffur ausgefüllt werden. Es ist nicht unbedingt mehr die gesamte Bildfläche mit dieser Schraffur oder mit Linien eng bedeckt, sondern es stehen sich Farbflächen gegenüber.

Insgesamt ist die Rindenmalerei in Zentral-Arnhem Land weniger von einem einheitlichen Stil geprägt als im Nordosten. So gibt es durchaus Künstler, die auf einfarbigem Hintergrund in groben Strichen eine flächige Malerei ohne Rücksicht auf Symmetrien ausführen, völlig unbefangen von überlieferten Techniken.

West-Arnhem Land

Die Rindenmalerei in West-Arnhem Land hat ihre Grundlage deutlich in den Felsmalereien. Wie das Bild von Dick Murrumurru, um 1975 gemalt, zeigt, ist die Malerei durchgängig figurativ und bildet vor allem die Schöpferahnen ab. Der Hintergrund des Bildes ist immer einfarbig in den originalen Erdpigmentfarben rotbraun, gelb, weiß oder schwarz gehalten, nur ganz selten bleibt er ungrundiert. Bis zum Beginn der 1970er Jahre wurde fast ausschließlich Rotbraun als Grund benutzt, und auch heute ist diese Farbe noch vorherrschend.

Dick Murrumurru arbeitet im sog. Röntgenstil, mit dem das Innere der Figuren sichtbar gemacht wird. Dieser Stil lässt die Figuren auf dem Hintergrund schweben. Er steht damit ganz im Gegensatz zur Kunst in Nordost-Arnhem Land, wo die figurativen Elemente klein sind, wenig Bedeutung besitzen und fest verankert sind in einem Hintergrund, der fast vollständig mit Kreuzschraffur bedeckt ist. Dort bestimmen die Symbole die Aussage der Malerei. Dagegen versucht der Röntgenstil, auf einfarbigem Grund das Verborgene sichtbar, das Unfaßbare faßbar zu machen und fügt beides zusammen zu einer Transzendenz der sichtbaren Welt.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 5: Ginger Riley Munduwalawala, The Limmen Bight River – my mother’s country, 1993, Acryl auf Leinwand, 190 x 191 cm, abgedruckt in: Ryan, Judith: Ginger Riley, National Gallery of Victoria, Melbourne 1997, Ausst. Kat., S. 92Auch wenn man in der Kunst in Arnhem Land relativ einfache Unterteilungen vornehmen kann, so entspricht diese Starrheit dem Kunstgeschehen natürlich gar nicht. Längst haben sich individuelle Künstlerpersönlichkeiten herausgebildet, deren Schaffen aus solch formalen Unterteilungen ausbricht, wie es zum Beispiel die Arbeiten von Ginger Riley Munduwalawala zeigen.