Die Bedeutung von Land

größeres Bild im neuen Fenster. Yapulpa (Glen Helen Wasserloch), westlich von Alice SpringsDie indigenen Australier haben eine besondere Verbindung zum Land. Land ist nicht nur eine materielle Größe, die für Nahrung und Medizin sorgte, sondern auch eine spirituelle. Es wird nicht besessen, sondern lediglich verwaltet. Land ist gleichbedeutend mit einem "geistigen zu Hause sein". (1) Land und Landschaft werden nicht einfach nur als sichtbar, sondern als von innen gewußt begriffen. Jeder Mensch gehört zu einem bestimmten Teil des Landes wie umgekehrt das Land zu ihm gehört.

Im Land existiert die Identität des Menschen, noch bevor er geboren wird. So ist es nicht verwunderlich, dass die Regierungspolitik der Zwangsumsiedlungen von indigenen Gruppen von ihrem jeweils zugehörigen Land in entfernte Gegenden, die um die Jahrhundertwende begannen und bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts andauerten, zu einer der schmerzlichsten Erfahrungen zählen. Umgekehrt mündeten die zu Beginn der 1970er Jahre größeren politischen Freiheiten sofort in eine Rückkehrbewegung zum jeweils zugehörigen Land.

"Die Menschen reden über Land in gleicher Weise wie über eine Person. Sie sprechen zum Land, singen das Land, besuchen es, sorgen sich um das Land, bemitleiden es und sehnen sich nach ihm. Man sagt, dass das Land weiß, hört, riecht, bemerkt, aufpasst, dass es unglücklich oder glücklich ist … Land ist … ein lebendiges Wesen mit einer Vergangenheit, einer Gegenwart und einer Zukunft, mit einem Bewusstsein und einem Lebenswillen…" (2) (Übersetzung E.B.)

Auch in den indigenen Schöpfungsgeschichten ist das Land die Grundlage; so wie in der christlichen Religion am Anfang das Wort stand, ist es in den Religionen der indigenen Australier das Land.

Verbindung zwischen Malerei und Land

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 1: Peggy Griffith, Schmetterling-Ngarrangkarni - Land am Keep River, Erdpigment auf Leinwand, 80,5 x 100,5 cm abgedruckt in: Altendorf, Ulrike und Hermes, Liesel (Hg.): Australien - Facetten eines Kontinents, Stauffenburg Verlag, Tübingen 2010, S. 125Die Verbindung zwischen Malerei und dem Land wird anhand eines Bildes von Peggy Griffith deutlich:

Das Bild mit dem Titel "Schmetterling-Ngarrangkarni - Land am Keep River" (Abb. 1) zeigt das Land des Großvaters der Künstlerin beim Keep River Nationalpark im Northern Territory gerade jenseits der Grenze von Westaustralien bei Kununurra, wo die Künstlerin lebt und arbeitet. Sie sagt zu diesem Bild:

"Das Land ist mit der Ngarrangkarni des Schmetterlings verbunden. Der große braune Hügel in der Mitte des Bildes ist der Berg Libeninanyambingiya, in dessen Höhle der Schmetterling zur Zeit der Ngarrangkarni lagerte, im Bild als schwarzer Kreis dargestellt. Die braunen Flächen sind Darstellungen für Hügel in der Umgebung, die schwarzen repräsentieren Quellen. Die schwarzen Linien stehen für Arme des Keep River, der durch dieses Land fließt."

Die Künstlerin gibt also zunächst nur eine Beschreibung dessen, was im Gemälde abgebildet ist, und sie setzt hinzu, dass ihr Großvater in seinem, also diesem Land, von weißen Siedlern getötet wurde, als die Siedler Zwangsarbeiter unter den indigenen Australiern zum Aufbau ihrer Farm rekrutierten.

Auf die Nachfrage, welche Bedeutung die Schmetterlinge haben, die von der Künstlerin als in der Höhle lagernd beschrieben wurden - aber Schmetterlinge lagern ja nicht, Menschen tun das -, antwortete sie: Erstens gibt es in dieser Gegend tatsächlich eine Höhle, in der viele Schmetterlinge leben; zweitens ist das Land im Gemälde in Assoziation mit den Schmetterlingen in ihrer Bedeutung als Schöpferahnen für eben dieses Land gemalt. Und drittens haben die Aktionen der Schmetterlingsahnen einen wichtigen Anteil an Tänzen, die bei Zusammenkünften hier getanzt werden.

So stellt das Bild also ein Verbindung her zwischen dem Land, das zum Großvater der Künstlerin gehört, der Schöpfung bzw. eines Teils davon, der durch Tänze immer wieder belebt wird, und der Verfolgungsgeschichte der Schwarzaustralier durch die Weißen, indem das Gemälde in Erinnerung an den Tod des Vaters gemalt wurde.

Verbindung zwischen Historie und Land

Eine andere Verbindung, die zwischen historischen Ereignissen der jüngeren Zeit und dem Land stellt z. B. Rover Thomas‘ (Joolama) "The Burning Site" (Abb. 2) dar. Der Künstler verbrachte die meiste Zeit seines Lebens mit der Arbeit auf verschiedenen Farmen, von denen die mündliche Überlieferung berichtet, dass auf ihnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts während der sog. Zeit des Tötens Massaker an indigenen Australiern verübt wurden. Das machte der Künstler zu einem Thema seiner Malerei.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 2: Rover Thomas (Joolama) (ca. 1926-1998), The Burning Site, 1990, Erdpigment auf Leinwand, 90 x 180 cm; abgedruckt in: Thomas, Rover, Akerman, Kim, Macha, Mary, Christensen, W. und Caruana, Wally: Roads Cross. The Paintings of Rover Thomas, Craftsman Press, Victoria 1994, S. 56 Die große Farbfläche im rechten Teil des Bildes stellt einen Berg dar, den Mount King, der die Seelen von mit Strychnin vergifteten indigenen Australiern auf der Bedford-Farm für die Ahnen sichtbar macht. Der schwarze, fast runde Kreis oben steht für den Platz, auf dem die Toten verbrannt wurden, die Einbuchtung darunter zeigt den Ort, an dem Brennholz gesammelt wurde und darunter, am unteren Bildrand ist das Haupthaus der Bedford-Farm sichtbar für den, der sich mit dieser Geschichte auskennt. Die schmalen braunen Linien repräsentieren verschiedene Straßen oder Wege. Es ist das von oben gesehene Land, in das das Geschehnis des Massakers verortet wird. Durch die Verbindung von Ereignis und seiner Darstellung als Teil des Landes wird mittels Kunst eine Erinnerungskultur der neueren Historie geschaffen, die ihre Grundlage in der uralten Beziehung zwischen mythologischer Geschichte und dem Land hat.

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Anmerkung

(1) Lüthi, B. (Hg.): Aratjara. Kunst der ersten Australier, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, DuMont, Köln 1993, Ausst. Kat., S. 358, ISBN 3926154160

(2) Rose, Deborah Bird: Nourishing Terrains: Australian Aboriginal Views of Landscape and Wilderness, Canberra 1996, S. 7,  ISBN 0642235619

(3) Ngarrangkarni bezeichnet in der Sprache der Gija die Weltsicht, siehe Jukurrpa