Politische Ikonographie
in der australischen indigenen Kunst

Auszug aus der Zeitschrift für Australienstudien 27, 2013, S. 49-66, ISSN 1617-9900, "Political Igonography in Indigenous Art" (20):

Beim Studium von Künstlermonografien, Ausstellungskatalogen und Artikeln aus Kunstzeitschriften aus den letzten zwanzig Jahre wird sehr schnell deutlich, dass eine große Zahl indigener Künstler, die in den Städten leben, ihre Kunst oder Teile ihrer Kunst dem Protest gegen Rassismus, neokoloniale Politik oder gar der Enthüllung solcher Politik widmen. Mitunter agieren sie als Chronisten historischer Ereignisse.

Dieser Artikel zeigt anhand von Beispielen, wie Künstler (sowohl aus den Städten als auch vom Land) politische Aspekte mittels malerischer Formen oder durch Symbole betonen. Manche Werke erscheinen bezüglich ihrer Thematik politisch, sind aber nicht mit einer politischen Intention verbunden, sondern beabsichtigen eine historisch chronistische, quasi objektive Darstellung.

Politische Forderungen und indigene Kunst

Kunst wurde von den indigenen Bewohnern schon seit Beginn der weißen Invasion eingesetzt, um auf die eigenen kulturellen Werte aufmerksam zu machen, was von den Invasoren lange Zeit sicher nur selten verstanden und deshalb auch nur selten dokumentiert wurde (vgl. Kleinert und Neal, S. 100). Die "Bark Petition" von 1963 kann als eines der ersten Kunstwerke begriffen werden, das mit dem Stellen politischer Forderungen verbunden ist.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 1: Künstler aus Yirrkala, The Bark Petition, 1963, Erdpigmente auf Rinde, gedruckter Text auf Papier, 59,1 x 34 cm; abgedruckt in: Lüthi, Bernhard (Hg.): Aratjara. Kunst der ersten Australier, DuMont, Köln 1993, S. 178

Auf einer Rindenmalerei, die die Zeichen verschiedener Clans als Beweis ihrer unverbrüchlichen Verbundenheit mit dem ihnen zugehörigen Land zeigt, ist ein Papier mit der Petition befestigt, das von den Ältesten dieser Clans aus Yirrkala verfasst und unterschrieben wurde. Die Verfasser der Petition wendeten sich gegen die Abtrennung eines Teils ihres Landes für den Abbau von Bodenschätzen ohne ihre Anhörung und Zustimmung. Sie fürchteten, dass ihre Interessen ignoriert werden würden, und forderten das Parlament und Repräsentantenhaus auf, eine Kommission einzusetzen, die die Meinung der indigenen Menschen aus Yirrkala vor Abtrennung des Landes anhört. Darüber hinaus baten sie darum, keine Abkommen mit Bergbaugesellschaften abzuschließen, die das Überleben und die Unabhängigkeit der Menschen von Yirrkala zerstörten. Die Menschen wurden nicht angehört, das Gelände und die Unabhängigkeit genommen, das Land zerstört.

Die auf der Rinde aufgebrachte Malerei sind die Zeichen der Clans, die zu diesem Teil des Landes gehören. Sie sind als integrativer Bestandteil der Petition gemeint, als Nachweis dafür, dass die dortigen indigenen Bewohner seit jeher ein Recht auf ihr Land haben. Die "Bark Petition" entspricht sowohl in ihrer Form als auch in ihrem Ton der Bitten und der Hinweise auf das indigene Gesetz ganz der indigenen Tradition der Verhandlungen, der Kompromisse und zeigt keierlei agressives Verlangen.

Die Menschen von Maralinga: stumme Anklage und Trauer

Bei einer Betrachtung der Ikonographie des Politischen in der indigenen Kunst ist Maralinga in Südaustralien ein wichtiges Thema. Zwischen 1955 und 1963 wurden dort sieben große Atomwaffenversuche und viele Hundert kleinerer sog. Sicherheitstests von den Briten durchgeführt mit dem Ausfall von Dutzenden von Tonnen Plutonium, Uran und anderen Radionukleiden (Maralinga, S. 11). Vor den Atombombenexplosionen wurde nicht eingehend untersucht, wieviele indigene Bewohner der Pitjantjatjara in diesem Gebiet lebten (Mattingley, S. 90-91). Resultat war Tod oder Krankheit einer unbekannten Anzahl indigener Menschen.

Die folgenden vier Kunstwerke beschäftigen sich mit diesem Thema. Das erste ist von Kunmanara Queama (1947-2009) und Hilda Moodoo (*1952), beide der Sprachgruppe der Pitjantjatjara zugehörig.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 2: Kunmanara Queama und Hilda Moodoo, Destruction I, 2002, Acryl auf Leinwand, 112 x 101,2 cm; abgedruckt in: Cumpston, Nici und Patton, Barry: Desert Country, Art Gallery of South Australia, Adelaide 2010, S. 131

"Destruction I" zeigt den Atompilz in typischer Punktmalerei mit verschiedenen Farbfeldern in weiß, gelb und rot sowie dem schattierenden braun und die den Pilz nachzeichnenden blau, gelb und braun gepunkteten Bänder, die von weißen Punktlinien gegeneinander abgegrenzt sind.

Es ist die Art Punktmalerei, die in der sog. Desert-Kunst weit verbreitet ist und sich von ihr nur dadurch unterscheidet, dass der Inhalt des Bildes mit Hilfe eines auch im westlichen Verständnis erkennbaren Symbol dargestellt ist. Dem Bild haften keinerlei Merkmale einer Empörung oder eines Protestes an gegen die Vertreibung der Pitjantjatjara von ihrem Land, gegen die Zerstörung ihres Landes und künden auch nicht vom langen Kampf um die Rückgabe des Landes, an dem Kunmanara Queama einen guten Anteil hatte.

Das Bild ist die reine Darstellung eines historischen Ereignisses. Es ist Teil einer Bilderserie verschiedener Künstler, deren Absicht war, "to pass on their knowledge through their paintings and leave their history behind for others." (zit. nach Cumpston, S. 130)

Das zweite Bild zu Maralinga ist von Jonathan Kumintjara Brown (1960-1997), ebenfalls ein Pitjantjatjara. Brown wurde im Alter von einigen Wochen seiner Mutter weggenommen und wuchs bei Adoptiveltern in verschiedenen Städten auf. Er studierte Aboriginal Studies. Als Erwachsener fand er 1984 seine leibliche Mutter und andere Verwandte in Oak Valley, Ooldea und Maralinga und ließ sich von ihnen in der Tjukurrpa, ihrer Weltanschauung unterrichten.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 3: Jonathan Kumintjara Brown, Old Country – Maralinga Atomic Test, 1995, Erdpig-mente und Sand auf Leinwand, 92 x 122 cm; abgedruckt in: Sammlung Essl (Hg.): Dreamtime. Zeitgenössische Aboriginal Art, Edition Sammlung Essl, Klosterneuburg 2001, S. 100-101

Das Bild zeigt in schwarz-weiß eine typische Darstellung des indigenen Landes mit durch Linien verbundenen konzentrischen Kreisen und Punktfeldern. Es ist die charakteristische Symbolik der sog. Desert-Malerei. Allerdings ist dieses Land zerstört, fast völlig ausgelöscht, was der Künstler malerisch sehr anschaulich umsetzt, indem er mit Ocker und Sand die klassische Symbolik überdeckt, sie weitgehend unsichtbar macht. Dennoch sagt der Künstler: "There is beauty as well as the other side of it. There is life." (Kleinert, S. 549) und lässt durch die Zerstörung hindurch Hoffnung aufscheinen, indem er die Überdeckung in der Weise strukturiert, dass lebensspendende Flussläufe sichtbar werden. Es ist ein Bild, wie es bei einem Flug über Australien gesehen werden kann, eine Aufsicht auf das Land und erinnert auch damit an Merkmale der sog. Desert-Malerei.

Dieses und ein zweites Bild von Jonathan Kumintjara Brown mit dem Titel "Poison Country" sind Teil einer Serie, die der Künstler in den Jahren 1994 und 1995 malte. Er betitelte sie "Ode to Maralinga Nullius" und lässt mit diesem Titel trotz seiner Beteuerung, dass es sich nicht um Protestbilder handele, eine gehörige Portion Sarkasmus einfließen.

"Poison Country" zeigt wieder die durch Linien verbundenen konzentrischen Kreise. Hier aber ist das Land mit braunem Ocker in unstrukturierter Form nahezu ausgelöscht. Es ist die Darstellung von Zerstörung – nicht nur des Landes, sondern auch der Kultur und menschlichen Lebens. Und dennoch sagte Jonathan Kumintjara Brown zu dieser Bilderserie: "It is not a protest … But I am asking: why did they do this damage to my grandfather’s land?" (Cumpston, S. 128)

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 4: Acryl und Erdpigmente auf Leinwand, 225 x 175 cm; abgedruckt in: Cumpston, Nici und Patton, Barry: Desert Country, Art Gallery of South Australia, Adelaide 2010, S. 129

Es sind Bilder der stummen Anklage und der Trauer, deren malerisch auslöschende Umsetzung einmalig in der indigenen Kunst ist. Und gerade das Fehlen von Symbolen transportiert eine kraftvolle Botschaft. Die Symbole, die Tjukurrpa sind nahezu verloren, aber das Land - repräsentiert durch die Malerei mit Erdpigmenten – ist da, ist gegenwärtig. Jeder, der mit einer solchen Darstellung von Verlust konfrontiert wird, fragt sich nicht nur: "Warum haben sie das getan?", sondern auch: "Wer hat das befohlen? Wo bleibt die Gerechtigkeit?"

Das letzte Kunstwerk zu Maralinga ist von Lin Onus (1948-1996). Er lebte in Melbourne, gehörte väterlicherseits zu den Yorta Yorta, seine Mutter war schottischer Abstammung.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 5: Lin Onus, Maralinga, 1990, Fiberglass, Pigment, Plexiglass, Papieraufkleber, 163 x 56 x 62 (Figur), 125 x 119 x 45 cm (Wolke); abgedruckt in: Neale, Margo (Hg.): Urban Dingo - The Art and Life of Lin Onus 1948-1996, Craftsman House, Brisbane 2000, S. 88

In seiner Installation verwandelt der Künstler das (in Australien) bekannte historische Ereignis der Atombombentests von Maralinga in einen Angriff auf die erbarmungslose Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der indigenen Bewohner.

Das Gesicht der Mutter, die ihr Kind schützend gegen die unsichtbare atomare Wolke im Arm hält, ist in einem Ausdruck von tiefstem Horror und Angst verzerrt; ihre Haare und die Kleidung der Figuren flattern im Sturm der Atomexplosion; Kind und Mutter sind allein und wehrlos. Die Zeichen für Radioaktivität, die der Wolke in den Farben blau, rot und weiß anhaften, sind die Farben der britischen Flagge. Es sind die Farben des Todes. Diese emotional aufgeladene Installation richtet sich gegen die Missachtung und Geringschätzung der indigenen Australier einerseits; denn die britische und australische Regierung nahmen Tod oder Krankheit der in der Gegend verbliebenen indigenen Bewohner voll Desinteresse in Kauf. Und andererseits richtet sich die Installation gegen die koloniale Nutzung oder besser: Zerstörung des Landes, zu dem die indigenen Menschen eine besondere Beziehung haben. Es ist also ein Werk des Protestes und nicht der Geschichtsschreibung.

An den Kunstwerken zu Maralinga wird deutlich, dass bei den indigenen Kunstwerken zu einem Thema, das zunächst nichts weiter als politisch erscheint, unterschieden werden muss zwischen einem rein historischen Verstehen - das Ereignis als geschichtlicher Vorgang, der zu dokumentieren ist, um ihn den folgenden Generationen mitteilen zu können -, einer Anklage gegen kolonial geprägte Ignoranz - wie Jonathan Kumintjara Brown zu seinen Bildern frage: "Why did they do this damage to my grandfather’s land?" - und einem Aufruf zum Protest als politischem Akt, wie es Lin Onus‘ Installation nahelegt.

Politisches Statement oder Geschichtsschreibung

Einen Schritt weiter geht Fiona Foley (*1964) mit der Installation "Witnessing to Silence". Die vielseitig begabte Künstlerin - sie ist Malerin, Bildhauerin, sie fotografiert, macht Radierungen und eben Installationen - tränkt ihre Werke sowohl mit offenkundigen als auch mit versteckten Anspielungen auf politische Themen (Rassismus, Zwangsarbeit, Vertreibung, Massaker, Landrechte, Marginalisierung).

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 6: Fiona Foley, Witnessing to Silence, 2004, Bronze, Wasserdampf, Steinpflaster, Asche hinter Glas und Edelstahl; abgedruckt in: Foley, Fiona: 'The Elephant in the Room - Public Art in Brisbane', Artlink 32 (2) 2012, S. 67

"Witnessing to Silence" von 2004 ist eine von 14 Auftragsarbeiten für das neu erbaute Amtsgericht in Brisbane, die an Künstler aus Queensland vergeben wurden. Fiona Foley erarbeitete ein Werk, bestehend aus bronzenen Seerosen, die von einem Wassernebel umhüllt sind, glänzenden Edelstahlsäulen und in das Pflaster eingefügten Steinen. Jeder dieser Steine trägt den eingravierten Namen eines Ortes in Queensland. Jeweils eine Seite der Säulen ist offen und zeigt große Einsätze von Asche hinter Glas.

Fiona Foley gab der Auswahlkommission für die Kunstwerke an, dass sich ihre Installation auf Brände und Überschwemmungen in Queensland beziehe (Public Art Agency, S. 17). Einige Monate nach Aufstellung der Installation veröffentlichte die Künstlerin die eigentliche Bedeutung des Werkes (Cosic). Sie hatte einen Wissenschaftler engagiert, der in staatlichen Archiven sowie in der Literatur 94 dokumentierte Massaker an indigenen Menschen in Queensland fand (Allas, S. 58; Foley, S. 64). Fiona Foley gravierte die 94 Ortsnamen in die Pflastersteine der Installation. Die Asche symbolisiert den Versuch, die Massaker zu verbergen, indem die Menschen verbrannt wurden. Die Seerosen, die in Queensland verbreitet sind, repräsentieren einen zweiten Weg, sich der ermordeten Menschen zu entledigen, sie nämlich in Flüssen oder Teichen verschwinden zu lassen.

Durch die Art, wie die Installation in den öffentlichen Raum gelangte, ist sie eine Demonstration des Misstrauens gegenüber staatlichen Institutionen, wenn es um Politik gegenüber dem indigenen Australien geht. Fiona Foley sagte 2005: "I knew that the political environment up here is so sensitive that I couldn't be upfront about the artwork." (Cosic) Vornehmlich aber ist die Installation nicht nur eine laute Anklage gegen Massaker, eine Anklage, die aufgrund des Materials ihrer Ausführung auf Dauer erinnert werden soll, also in den Bereich des Denkmals gehören könnte. Sondern sie ist noch mehr: Die Künstlerin klagt nicht nur an, sondern sie enthüllt einen Teil der verborgenen indigenen Geschichte. Und sie versucht, neue Metaphern zu finden, um dieses Stück indigener Geschichte ins kollektive Bewußtsein zu holen und dort festzuzurren. Fiona Foley versucht, der indigenen Geschichte ein Bild zu geben.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 7: Paddy Bedford, Two women looking at the Bedford Downs Massacre burning place, 2002, Ocker und Pigment auf Leinwand, 180 x 150 cm; abgedruckt in: Museum of Contemporary Art (Hg.): Paddy Bedford, Sydney 2006, S. 89

Dort trifft sich ihre Installation mit den Bildern von Paddy Bedford (ca. 1922-2007) oder anderen Künstlern, die ebenfalls Massaker darstellen. Auch sie geben der indigenen Geschichte ein Bild, aber es ist nicht ein Bild des Protestes oder der Enthüllung. Vielmehr ist die Darstellung des Geschehens als eine historisch chronistische, quasi objektive Beschreibung zu verstehen. Das Ereignis wird verortet, es wird unmittelbar und untrennbar mit dem Ort des Geschehens verbunden und damit zu einem Teil der Ngarrangkarni - die Weltsicht der Gija -, die an die folgenden Generationen zu überliefern ist. Bei diesem Bild von Paddy Bedford handelt es sich um die Darstellung des Bedford Downs Massakers, bei dem als Rache für das Töten eines Ochsens, einer Reihe indigener Männer vergiftetes Essen gegeben und ihre Leichen anschließend verbrannt wurden.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 8: Paddy Bedford, Cockatoo Dreaming, 2002, Ocker und Pigment auf Leinwand, 180 x 150 cm; abgedruckt in: Museum of Contemporary Art (Hg.): Paddy Bedford, Sydney 2006, S. 85

Zum Vergleich handelt Padddy Bedfords "Cockatoo Dreaming", ebenfalls aus dem Jahr 2002, von einem wichtigen Gesetzeshüter, der reisende junge Männer aufforderte, im Land der Gija, zu denen der Künstler gehörte, zu bleiben. Sie vewandelten sich in Felsen und wurden Teil des Landes (vgl. Museum, S. 11-12). Zwar unterscheiden sich die Farben beider Bilder, was bei Paddy Bedford aber kaum eine inhaltliche Relevanz hat. Ihre Bildrhetorik jedoch mit den fast parallelen Farbsegmenten und Kreisen verschiedener Größe weist keine grundsätzliche Abweichung voneinander auf; ein Beleg dafür, dass es sich in beiden Bildern um Darstellungen der Ngarrangkarni (Weltanschauung) handelt und dass das Massaker zu seinem festen Bestandteil geworden ist.

Die Installation von Fiona Foley und die Bilder von Paddy Bedford sind Beispiele dafür, wie sich die gleiche Thematik durch ein unterschiedlich kulturelles Verständnis - politische Enthüllung einerseits und geschichtliche Überlieferung bzw. Aufnahme in die Ngarrangkarni andererseits - in völlig verschiedene ikonographische Mittel niederschlägt.

Appropriation Art

Das Mittel der Appropriation, d. h. die Übernahme von Fotografien, Texten oder Kunstwerken anderer Künstler in die eigenen, entstand in der westlichen Kunst Ende der 1970er Jahre und verbreitete sich vor allem in den 1980er Jahren. Ziel der Appropriation Art war entweder die problematisierende oder ironisierende Abwandlung von Originalität und Kreativität, die Kritik an Erscheinungen des Kunstmarkts, oder das Zitat war als Hommage an den zitierten Künstler gemeint. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Ursprungsbild in originalgetreuer Fassung oder modifiziert zitiert wird.

Richard Bell (*1953), in seinem frühen Erwachsenenleben politisch geprägt durch die Auseinandersetzungen um die indigene Zeltbotschaft vor dem Parlament (1972) und später um den Invasion Day 1988 (Zweihundertjahrfeier), fügt in der ihm eigenen Art der Appropriation, nämlich einer so starken Modifizierung, dass nicht ein bestimmtes Kunstwerk, sondern nur Anspielungen auf eine bestimmte Art der Malerei sichtbar ist, dieser Kunstrichtung eine weitere Absicht hinzu: Indem er als indigener Künstler bekannte Merkmale indigener Malerei zitiert - sich wiederholende Raster in leuchtenden Farben, manchmal auch konzentrische Kreise - und sie mit Farbschlieren à la Jackson Pollock garniert, wendet er sich gegen die Vereinnahmung der indigenen Kunst durch den westlich beherrschten Kunstmarkt und darüber hinaus gegen eine Politik, die die Vermarktung indigenen Lebens - ob in der Kunst oder im Tourismus - gegenüber der Akzeptanz und Förderung dieses Lebens und ihrer Kultur bevorzugt.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 9: Richard Bell, Scientia E Metaphysica (Bell’s Theorem), 2003, Acryl auf Leinwand, 240 x 540 cm; abgedruckt in: Leonard, Robert (Hg.): Richard Bell: Positivity, Institute of Modern Art, Brisbane 2007, S. 57

Eines seiner bekanntesten Bilder gewann 2003 den prestigeträchtigen National Aboriginal & Torres Strait Islander Art Award. Betitelt mit "Scientia E Metaphysica (Bell’s Theorem)” fällt als erstes der Schriftzug "Aboriginal Art it’s a White Thing" auf, der gegenüber einem weißen, an indigener Kunst interessierten Publikum als Konfrontation verstanden werden muss. Er betont die erdrückende Rolle der Weißen bei der Vermarktung und Bewertung indigener Kunst. Bei genauer Betrachtung erschließen sich in den schwarzen und weißen Bildfeldern weitere Texte. Im weißen steht:

I am humiliated
I am sorry
Your ancestors were the kindest the most humane colonising power in the history of the world. They didn't steal our lands. You did in 1992. Your ancestors were very kind to Aboriginal people all over Australia. They gave work rations of flour, tea, sugar and even tabacco. And it is quite silly to think that work for ration was slavery minus the accommodation. You didn't commit genocide. You didn't even steal our children ...
I was wrong. You can justify everything.

Im schwarzen Bildfeld steht:

I am not a racist
I just don’t like aboze, juze, wogz, slow pedz and reffoze

Die Verwirrung, die Richard Bell mit diesen Texten stiftet - nicht sofort ist eindeutig, wer eigentlich der Sprecher ist -, ist durchaus Absicht, weil sie ein sattes, weißes Publikum, das indigene Kunst goutiert und indigenes Leben, Kultur, Souveränität und Geschichte ignoriert oder diskriminiert, aus seiner Lethargie aufscheucht und zu wie auch immer gearteten Stellungnahmen provoziert. Der Künstler gibt keine Richtung des Denkens vor. Aber die Beschäftigung mit der Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung ist erreicht.

Einen Skandal allerdings löste Richard Bell nicht mit diesem Bild sondern mit einem rassistischen Spruch auf einem T-Shirt aus, das er während der Preisverleihung trug: "White girls can’t hump". Damit hält er dem weißen Australien einen Spiegel vor, indem er die Rollen tauscht. In ironischer Form dreht er um, was indigene Menschen in Australien tagtäglich zu hören bekommen:

… they fight too much, drink too much, fuck too much, waste their money and destroy property; they are unemployable, irresponsible, promitive, spiritual, close-to-nature, parasitic, disappearing, not black enough, violent, opportunistic. (Leonard, S. 24)

Richard Bell kommentierte die Empörung über "White girls can't hump":

"My art … is an in-joke for smart people, the smart people will get it and the rest of the morons won't." (Leonard, S. 5)

Er nutzt Satire, Humor und Absurdität, um die große Diskrepanz zwischen der heilen Welt des Kunstmarktes, der vermeintlich heilen weißen australischen Welt und den indigenen Lebenswirklichkeiten der Diskriminierung und Gängelung zu geißeln.

Ein Reporter des Sydney Morning Herold brachte den Skandal auf den Punkt: "Which is more offensive – a T-shirt bearing a crude insult meant as a joke, or the sight of the late, great Papunya painter Johnny Warangkula’s family living in a tin humpy, while far away in Sydney, his painting, for which they will not get a red cent, is sold at auction for $ 346.975?” (zit. nach Leonard, S. 5)

Uneindeutigkeit, Verdrehungen, Rollentausch und beißende Satire sind die Mittel, die Richard Bell nutzt, um die Beschäftigung mit Kolonialismus, Rassismus und Unterdrückung zu provozieren. Malerisch nutzt er die Appropriation, also die Vereinnahmung, um gegen die romantisierende Vereinnahmung indigener Kunst zu protestieren.

Appropriation der Appropriation

Die Appropriation der Appropriation wagt Gordon Bennett (*1955). Beispiele solcher Arbeiten des Künstlers, angeregt von Werken von Margaret Preston, wurden 2012 auf der dOCUMENTA 13 in Kassel gezeigt.

Die australische nicht-indigene Künstlerin Margaret Preston, die von 1875 bis 1963 lebte, schlug vor, die Sybolik und Ästhetik der indigenen Kunst zu nutzen für die Entwicklung einer nationalen australischen Kunst. Das ist als vollständige Aneignung und Neudefinition der indigenen Ikonographie zu bewerten. Da sich eine nationale Ästhetik aber nur durchsetzen könne, wenn sie breiteste Akzeptanz fände, sollte indigene Symbolik in dekoratives Design umgesetzt und verbreitet werden. Margaret Preston machte 1925 entsprechende Entwurfszeichnungen.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 10: Gordon Bennett (*1955), Home Décor (nach Margaret Preston) #8, 2010, Acryl auf Leinwand, 182,5 x 152 cm; abgedruckt in: dOCUMENTA (13), Das Begleitbuch/The Guidebook, Katalog/Catalog 3/3, Hatje Cantz, Ostfildern 2012, S. 143

Gordon Bennett nun nimmt diese Zeichnungen, vergrößert sie um etwa das Hundertfache und malt sie mit kräftigen Farben auf Leinwand. Der Künstler - ein anerkannter großer Meister der Appropriation Art - erreicht so eine ganz eigene Ausdruckstärke, für die viele Werke der sog. Desert-Kunst bekannt sind.

Wesentlich aber ist, dass Gordon Bennett die für Dekorationszwecke gedachten Zeichnungen zurückholt in die zeitgenössische Kunst und mehr noch, dass er sich die von Margaret Preston angeeignete indigene Symbolik wieder aneignet, sie der indigenen Kunst und Kultur zurückgibt.

Fazit

Die dargelegten Beispiele zeigen, dass indigene australische Kunstwerke einen ausgesprochen politischen Inhalt haben können. Die Auswahl wurde so bestimmt, dass sie gewisse Charakteristika offenbaren. Der Eindruck, dass sog. städtische Künstler ihre Werke oft nutzen, um gegen Genozid in der Vergangenheit zu protestieren oder auch heute stattfindende Diskrimination zu brandmarken, ist genauso wahr wie der Eindruck, dass Künstler der Western Desert sich oft auf die Dokumentation vergangener und heutiger Tragödien beschränken. Man denkt sofort an Fiona Foleys "Witnessing to Silence" und Kunmanara Queamas und Hilda Moodoos "Destruction I" zu Maralinga. Auf der Grundlage seiner kulturellen Überzeugungen - er war lange Zeit aktiv im politischen Protest für Landrechte - wählt Kunmanara Queama für seine Werke ohne Zweifel die chronistische Version der politischen Kunst. In entsprechender Weise spiegelt sich Fiona Foleys Kunst des sozio-politischen Protestes in ihren eigenen Publikationen wider.

Eine Verallgemeinerung der Ikonographie und der visuellen Semantik, wie sie in der gesamten Bandbreite der politischen Kunst aufscheint, ist nicht möglich. Jeder Künstler und jedes einzelne Kunstwerk erarbeitet sich die eigenen visuellen Symbole und Zeichen aus der persönlichen Geschichte heraus oder setzt - mittels Appropriation Art - solche anderer Künstler ein, die mitunter sogar gegenteiliger politischer Auffassung sind. Beispiel dafür sind die Werke von Gordon Bennett und Margaret Preston. Selbst ein solch grundlegendes Symbol wie konzentrische Kreise in ihrer Bedeutung als Zeichen für eine wichtige Stätte kann seine Bedeutung wandeln von Dies ist das Land der Pitjantjatjara zu Dieses Land wurde zerstört zu Unsere Kultur wurde gestohlen.

Politik und Symbolik sind gleichermaßen von großer Wichtigkeit in der indigenen Kunst. Aber erst die Erfahrung, Erkenntnis und Inspiration der einzelnen Künstlerpersönlichkeit bestimmen über den Zusammenhang zwischen diesen beiden Aspekten in der Kunst und ihre Deutung.

Anmerkungen

(1) Allas, Tess: “History is a Weapon. Fiona Foley – History Teacher”, Artlink 30 (1) 56-61, 2010

(2) Araeen, Rasheed, Sean Cubitt und Ziauddin Sardar (Hg.): The Third Text Reader: On Art, Culture and Theory, Continuum, London 2002

(3) Cosic, Miriam: “Revealed: Message hidden in Sculpture”, The Australian, 10. März 2005 http://de.scribd.com/doc/6562841/FionaFoleyHidesMeaning

(4) Cumpston, Nici und Patton, Barry: Desert Country, Art Gallery of South Australia, Adelaide 2010

(5) dOCUMENTA (13), Das Begleitbuch/The Guidebook, Katalog/Catalog 3/3, Hatje Cantz, Ostfildern 2012

(6) Foley, Fiona: “The Elephant in the Room - Public Art in Brisbane”, Artlink 32 (2) 2012, S. 64-67

(7) Genocchio, Benjamin: Fiona Foley, Solitaire, Piper Press, Annandale 2001

(8) Kleinert, Sylvia und Neale, Margo (Hg.): The Oxford Companion to Aboriginal Art and Culture, Oxford University Press, Melbourne 2000

(9) Leonard, Robert (Hg.): Richard Bell: Positivity

(10) Lüthi, Bernhard (Hg.): Aratjara. Kunst der ersten Australier, DuMont, Köln 1993

(11) Maralinga Rehabilitation Technical Advisory Committee, Rehabilitation of former Nuclear Test Sites at Emu and Maralinga (Australia) 2003. Australian Department of Education, Science and Training, 2003. http://www.ret.gov.au/resources/Documents/radioactive_waste/martac_report.pdf.

(12) Mattingley, Christobel (Hg.): Survival in Our Own Land. ‘Aboriginal’ Experiences in ‘South Australia’ since 1836, Australian Scholarly Publisher, Adelaide 1988

(13) Museum of Contemporary Art (Hg.): Paddy Bedford, Museum of Contemporary Art, Sydney 2006

(14) Neale, Margo (Hg.): Urban Dingo - The Art and Life of Lin Onus 1948-1996, Crafts-man House, Brisbane 2000

(15) Public Art Agency, Arts Queensland, Department of Education and the Arts: “Engagement: Art + Architecture. Art Built-in Brisbane Magistrates Court”, Brisbane 2004, S. 17, http://www.artplace.arts.qld.gov.au/CMS/Uploads/Engagement%20art+architecture.pdf

(16) Sammlung Essl (Hg.): Dreamtime. Zeitgenössische Aboriginal Art, Edition Samm-lung Essl, Klosterneuburg 2001

(17) Warburg-Haus Hamburg, Forschungsstelle Politische Ikonographie, www.warburg-haus.de

(18) Warnke, Martin, Fleckner, Uwe und Ziegler, Hendrik (Hg.): Handbuch der Politi-schen Ikonographie C.H.Beck, München 2011

(19) http://jayyounger.com/?portfolio=fiona-foley-witnessing-to-silence (gesehen 15. September 2012)

(20) Bähr, Elisabeth: "Political Iconography in Indigenous Art", Zeitschrift für Australienstudien 27, 2013, S. 49-66, ISSN 1617-9900