Rezension einer Kunstausstellung
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16.02.2024 - 18.08.2024 Ausstellung 'The Beauty of Diversity' im ALBERTINA Modern, Wien
Das ALBERTINA Museum besitzt eine Sammlung von über 1,2 Millionen Kunstwerken, davon über 60.000 zeitgenössische Kunstwerke. Die Ausstellung 'The Beauty of Diversity' erweitert bewusst die Grenzen dieser Sammlung, indem sie Kunstwerke von Frauen und LGBTQIA+-Künstlern, People of Color, Indigene KünsterInnen und Autodidakten in den Mittelpunkt stellt..
Die ALBERTINA Modern bietet einen ausgezeichneten 5-minütigen 'Video-Rundgang' durch die Ausstellung, der von der Kuratorin Dr. Angela Stief (auf Deutsch) kommentiert wird. Der Schlüssel zu einem wunderbaren Besuch liegt in der Bereitschaft, schockiert zu sein. Schockiert von einigen Bildern, ja, aber vor allem schockiert von dem, was Sie nicht kennen und wen Sie nicht kennen.
Der Schock entsteht durch gebrochene Erwartungen: gesellschaftliche Sitten werden verletzt, visuelle Konventionen umgangen und westliche, selbstgefällige Vormachtstellungen ignoriert. Geschlechter- und Identitätsaussagen stehen im Mittelpunkt vieler Kunstwerke, aber auch die erhabene Missachtung westlicher (d.h. unserer) Denkweisen, wie einige Kunstwerke australischer Indigener zeigen, die weiter unten besprochen werden.
Was die Kunst aus Australien betrifft, so werden Kunstwerke von zwei australischen Künstlerinnen, Emily Kame Kngwarreye und Nyunmiti Burton, den Werken von zwei europäischen Künstlerinnen, Soli Kiani und Elena Koneff, gegenübergestellt. Die Lebensgeschichte von Emily Kame Kngwarreye wurde in einer Reihe von gewichtigen Büchern nacherzählt, zuletzt im Katalog für die Retrospektive Anfang 2024 in der National Gallery of Australia, eine Ausstellung, die 2025 in die TATE Modern wandern wird. In der Einleitung des NGA-Katalogs heißt es, dass Emily Kame Kngwarreye (im Katalog als Emily Kam Kngwarray geschrieben) in Zentralaustralien aufwuchs, mit wenig oder gar keinem Kontakt zur abendländischen Kunst, Religion oder Technologie, aber mit ihrem eigenen starken Lebens- und Kunstsinn, der schließlich in westlichen Kunstkreisen gelobt wurde. Emily Kame Kngwarreye's Lebensgeschichte wurde in einer Reihe von gewichtigen Büchern nacherzählt, zuletzt im Katalog für den Zeitraum Anfang 2024 Retrospektive Ausstellung in der National Gallery of Australia, eine Ausstellung, die 2025 im TATE Modern zu sehen sein wird. Die Einleitung des NGA's Katalogs stellt fest, dass Emily Kame Kngwarreye (in diesem Katalog als Emily Kam Kngwarray geschrieben) wuchs in Zentralaustralien auf, wo sie wenig oder gar keinen Kontakt mit westlicher Kunst, Religion oder Technologie hatte, dafür aber einen eigenen starken Sinn für das Leben und die Kunst, der schließlich in westlichen Kunstkreisen gelobt wurde.
Die beispiellose Entwicklung von Kngwarrays Anerkennung und Ruhm als Künstlerin ist inzwischen weit über ihr Herkunftsland hinaus bekannt. Die Macht und kulturelle Autorität von Kngwarray kommt in den Kunstwerken selbst in hervorragender Weise zum Ausdruck. Die kritischen Reaktionen auf ihr Werk wurden jedoch oft durch Definitionskategorien aus der westlichen Kunsttradition - Modernismus und abstrakter Expressionismus - geprägt. Die Geschichte der westlichen Kunst wurde durch die Begegnung mit einer fortdauernden kulturellen Tradition verwirrt, die viel älter ist als jede, die auf europäischem Boden entstanden ist. [Übersetzung der Autoren]
Diese Verwechslung/Kollision wird im NGA-Katalog näher erläutert, aber auch durch die Titel dreier Werke von Emily Kame Kngwarreye aus der Sammlung ALBERTINA Modern angedeutet, die in Wien gezeigt werden: 'Kame Awelye', 'Awelye' und 'Ohne Titel (Alhalkere)' (das hier gezeigte Werk von 1992). In ihrer Sprache bedeutet Kame die Knollen einer wichtigen Nahrungspflanze, Dioscorea transversa, nach der die Künstlerin benannt ist. 'Awelye' bezeichnet gemalte Muster auf dem Körper, die in vielen Zeremonien indigener Frauen zum Einsatz kommen. Darüber hinaus steht der Begriff für den breiteren Inhalt einer Zeremonie und den damit verbundenen Wissensschatz. 'Alhalkere' ist der Name ihres ganzen Landes. Kngwarreye sagte einmal, ihre Kunstwerke repräsentierten „das Ganze”, die gesamte Essenz von Alhakere. Das heißt, ihre Gemälde sind von ihrem Land, ihrem Leben und ihrer Identität inspiriert. Dieser ganzheitlicher Ansatz lässt sich nicht so einfach in der übliche abendländischen Kunstgeschichte erklären. Dazu braucht es umfangreiche Recherchen und Erfahrungen.
In einem angrenzenden Raum der Ausstellung werden eine Reihe von Fotomontagen der australischen Künstlerin Tracey Moffatt präsentiert. Moffatt seziert und bloßstellt Geschlechterstereotypen anhand von Ausschnitten aus populären australischen Filmen der 1960er Jahre (die stark von Hollywood beeinflusst wurden) – und das auf äußerst raffinierte Weise. Jede Montage ist ein einzigartiges Fenster in eine gesellschaftlich konstruierte Fantasie (d. h. eine Lüge), die die angemessene Rolle der Frau in der westlichen Zivilisation definiert. Die Jesuiten angeblich glaubten, dass die ersten sieben Lebensjahre eines Kindes sein Leben als Erwachsener bestimmen; mit Hilfe dem modernen Fernsehen und der Werbung, die die Geschlechterstereotypen unterstützen, haben wir das vielleicht verkürzt.
Die gesamte Ausstellung kann als Fenster zu verschiedenen Weltanschauungen betrachtet werden, die die traditionellen, gesellschaftlich konstruierten Beschränkungen der (KünstlerInnen-)Identitäten ersetzen oder untergraben.
Was sagt die Presse zu der Ausstellung? Fast jeder Artikel wiederholt das Mantra 'Die Ausstellung zeigt die enorme Tiefe und Breite der Albertina-Sammlung' - was zwar wahr ist, aber am Zentralpunkt vorbeigeht.
Das StyleMate Journal (was 'Inspirationen aus aller Welt für einen ästhetischen und sinnvollen Lebensstil
' verspricht) kommentiert, dass die Ausstellung ihre Kraft aus der 'Gegen¨berstellung von renommierten Künstlern, die den Kanon schon immer strapazieren wollten und doch kanonisiert wurden, und Neuentdeckungen sowie solchen, die die Sehgewohnheiten irritieren, gegen den Strom schwimmen, die Grundlagen der Hochkultur ersch¨ttern
' bezieht. Der Artikel betont, dass der Betrachter, indem er mit einer Fülle von Werken in außerordentlich unterschiedlichen Stilen konfrontiert wird, die im Gegensatz zu den gewohnten 'Stars' der klassischen Moderne stehen, das Dilemma aller modernen Kunstmuseen erfährt: Wie kann man die vergangenen Wellen der Kunst bewahren und präsentieren und gleichzeitig offen sein (und seine Sammlungspraxis öffnen) für das offensiv Andere? Wie schwierig es ist, überparteilich zu sein und sich von den üblichen '-ismen' zu distanzieren, zeigt ungewollt ein anderes Zitat aus demselben Artikel: '[Die Ausstellung] erforscht die Schönheit des Grotesken, des Unreinen und des Verdrängten. Das Ausgegrenzte und die Abweichung von der Norm werden sichtbar.
' Und warum, fragt man sich, sind die beschreibenden Begriffe hier alle negativ?
Die Wiener Stadt-Webseiten erläutert eine ganz andere Ansicht, wenn sie Dr. Angela Stief, Kuratorin der Ausstellung und Direktorin der Albertina Modern, zitieren:
'The Beauty of Diversity' geht um Widerstand, Empowerment und das Einstehen für Freiheit, die eigene Identität darzustellen.
Die Kunstkritikerin des Kunstmagazins Parnass, Paula Watzl, ist ein Mensch, der offensichtlich das Glas halb leer sieht und sagt
'Wer einen Blockbuster-Titel wählt, muss auch liefern. Das gelingt der Albertina Modern mit der Schau 'The Beauty of Diversity' nur in Teilbereichen. Geboten wird herausragende Kunst, aber leider keine wesentliche Auseinandersetzung mit dem Diversity-Begriff.'
Für diesen Rezensenten ist diese Aussage zu simpel: als ob 'Vielfalt' in einer einzigen Ausstellung erfasst, katalogisiert, in Schubladen gesteckt und 'ad acta' gelegt werden kann! Für diejenigen, die das Privileg bekommen, die Biennale di Venezia 2024 zu sehen, bei der die Vielfalt der Kunst in Hunderten von Gebäuden in den offiziellen Giardini, im Arsenale und in der ganzen Stadt Venedig zu sehen ist, ist klar: Nicht einmal eine Stadt voller Kunst kann die Vielfalt umgrenzen. Und genau darum geht es: Besucher können in der ALBERTINA Modern einen Vorgeschmack auf das bekommen, was sie in den klassischen Kanonen der Kunst vermisst haben (oder was ihnen vorenthalten wurde).
Die Entdeckung der Tiefen (oder Gipfel) der Vielfalt in der zeitgenössischen Kunst erfordert Zeit, Energie und eine Art Entdeckergeist. Alte Bände zur Kunstgeschichte lieferten einst chronogeografische 'Karten' der Weltkunst (siehe [1], gedruckt von 1962 bis 1996, und [2], das [1] an den Pranger stellte), aber in den meisten solchen Übersichten war die Kunst von LGBTQIA+ plus People of Color plus Autodidakten plus indigenen Künstlern in den 'Here be Dragons'-Ecken unsichtbar. Discovering the depths (or peaks) of diversity in contemporary art requires time, effort and something of an 'Entdeckergeist' (explorer mentality). Old tomes on art history once provided chronogeographical 'maps' of world art (see [1] in print from 1962 to 1996, and [2] which pilloried [1]), but in most such overviews the art of LGBTQIA+ plus people of colour plus autodidacts plus Indigenous artists were invisible in the 'Here be Dragons' corners.
The 223-page catalogue of the exhibition, printed in German, provides some hints, but few references, towards re-constructing an inclusive map of art. Art historian and author Katharina Sykora offers in pages 12-25 eight various groupings of artists into kinds of (gender-based) dissent, whereas the curator Dr. Angela Stief divides the catalogue chapters into seven further sub-divisions (Obsession, Hybrid Forms, The Grotesque, Dream and Shock, Self-empowwerment, Black Art Matters and Critique of Civilisation). The visitor is therefore left wondering: where do I go from here? But at least that is a pro-active improvement compared to self-satisfied eurocentric omphaloskepsis [3].
[1] The endpapers in textbooks 'History of Art: A Survey of the Major Visual Arts from the Dawn of History to the Present Day
' by Janson H.W. et. al. (1962), 662-pages, Harry N. Abrams, Inc., New York., Accessed 14th July 2024 at https://archive.org/details/historyofartsurv00jans/mode/2up
[2] Nelson, S. Robert. 1997 'The Map of Art History', The Art Bulletin, Vol. 79, No. 1 (March 1997), pp. 28-40. Accessed on 14th July 2024 at https://www.csus.edu/indiv/o/obriene/art192b/map%20of%20art%20history%20nelson.pdf
[3] I am grateful to ChatGTP for introducing me to this term, so that I might avoid the more understandable and hence more insulting term 'navel-gazing'.