Acrylmalerei

Acrylfarben eigen sich anders als Ölfarben für die Malerei unter den Bedingungen, die indigenen Künstlern weitab der Großstädte zur Verfügung stehen, weil sie schnelltrocknende Farben sind. So ist die Malerei mit Acryl die am weitesten verbreitete Art der Malerei. Die Techniken, die dabei eingesetzt werden, sind jedoch sehr unterschiedlich.

Lange Zeit galt die Punktmalerei als das Merkmal schlechthin in der Kunst Abb. 1: Paddy Japlajarri Sims, Yanjirlpirri Jukurrpa, 2003, Acryl auf Leinwand, 183 x 61 cm abgedruckt in: Altendorf, Ulrike und Hermes, Liesel (Hg.): Australien - Facetten eines Kontinents, Stauffenburg Verlag, Tübingen 2010, S. 142Zentralaustraliens. Sie nimmt jedoch ganz verschiedene Richtungen ein. In den klassischen Werken, sind die Punkte als Hintergrund zu interpretieren, vor dem die Symbolik ihre Bedeutung entfaltet. Beispiel dafür ist "Yanjirlpirri Jukurrpa" von Paddy Japaljarri Sims aus dem Jahr 2003:

Yanjirlpirri bedeutet Stern und ist der Name einer niedrigen Hügelgruppe mit Sickerwasserstellen westlich von Yuendumu, von der das Bild handelt. Yanjirlpirri ist aber auch verknüpft mit Initiationszeremonien der Japaljarri- und Jungarrayi-Männer (1), die von Kurlurngalinypa (bei Lajamanu) nach Yanjirlypirri reisten. Unterwegs vollziehen sie Kurdiji, die Initiationszeremonien für junge Männer, für die auch Frauen tanzen. Die Männer schmücken beide Seiten ihrer Häupter mit Jinjirla (weißen Federn) und tragen hölzerne Sterne. Solche Sterne werden außerdem in ein Bodenrelief integriert, das für die Kurikuripa (Zeremonie) hergestellt wird. Mit Ngalyipi (Goldwein) befestigt man Witi (zeremonielle Speere) vertikal an den Schienbeinen der tanzenden Initiierten. Diese Witi sind als lange gerade Linien im Bild symbolisiert. Die weißen Kreise stehen für Yanjirlpirri (Sterne). Die Bedeutung von Yanjirlpirri kann nicht überbetont werden, denn hierher werden junge Männer zu ihren Initiationen aus so weit entfernten Gebieten wie aus dem Land der Pitjanjatjara im Süden und aus Lajamanu im Norden geholt.

Die Symbole, die die wesentliche Bedeutung der Bilder mitteilen - hier die zeremoniellen Speere in Form von langen geraden schwarzen Linien und die Sterne in Form von weißen Kreisen - werden beim Malen als erste auf die Leinwand aufgebracht. Erst danach werden die Zwischenräume mit Punkten ausgefüllt.

Die Art und Weise, Punkte zu malen hat sich im Laufe der Jahre seit 1970 (2) entwickelt, und damit hat sich auch die Bedeutung der Punkte geändert. Man kann folgende Arten unterscheiden:

  • präzise, gleich große Punkte mit Zwischenraum auf eine Grundfarbe aufgesetzt;
  • unterschiedlich große Punkte, durch verschiedene Farben, Größe und Dichte zu Strukturen gefügt wie auf dem Gemälde von Gladdy Kemarre aus dem Jahr 1998, das die Verbindung von Awelye, Zeremonien der Frauen mit entsprechender Körperbemalung, der Altyerre (3) der Arnwekety (Wildpflaume) und Alhalkere, dem Land der Künstlerin, herstellt.
  • Man findet die Punkte aber auch in einem überaus pastosen Auftrag der Farbe sehr eng aneinander- und übereinandergesetzt, sodass sie ineinander übergehen und als Punkte nur noch schwer zu erkennen sind – wie auf dem Gemälde von Lucy Yukenbarri Napanangka. Die Künstlerin entwickelte 1990 diese neue Art zu malen, die Kinti-Kinti-Technik – Kinti-Kinti bedeutet nahe beieinander – die von vielen Künstlern übernommen wurde.
  • In einer weiteren Form sind die Punkte nur beim Studieren des Bildes aus der Nähe sichtbar. Sie erscheinen als Linien und stellen so eine Verbindung zu den Linienbildern dar (siehe unten).
  • Und schließlich sind die Punkte selbst strukturiert und stark vergrößert wie auf dem Gemälde von Lily Sandover Kngwarreye. Während es in allen anderen Fällen keine Überlagerung von Punkten und Motiven gibt, sind sie in diesem Bild auf die geschwungenen Linien gemalt. Sie dienen nicht mehr als Hintergrund, sondern haben sich gewandelt hin zu eigener Sinnhaftigkeit.
    Abb. 4: Lily Sandover Kngwarreye, Ngkwarlerlaneme Altyerre, 1996, Acryl auf Leinwand, 85 x 85 cm, abgedruckt in: Bähr, Elisabeth und Seele, Ralf-Michael (Hg.): Zeichen des Seins. Malerei der australischen Aborigines, Meiningen 1999, Ausst. Brosch., Umschlag
    Abb. 4: Lily Sandover Kngwarreye, Ngkwarlerlaneme Altyerre, 1996, Acryl auf Leinwand, 85 x 85 cm, abgedruckt in: Bähr, Elisabeth und Seele, Ralf-Michael (Hg.): Zeichen des Seins. Malerei der australischen Aborigines, Meiningen 1999, Ausst. Brosch., Umschlag




  • Eine andere Variante der Übernahme von Bedeutung durch Punkte stellen Bilder mehrerer Künstlerinnen aus dem Gebiet von Utopia dar, die völlig auf Symbolik verzichten und stattdessen Myriaden kleiner Punkte über- und nebeneinander schichten in der Weise, dass auch keine ausgeprägten Strukturen mehr entstehen. Die einzelnen Punkte unterscheiden sich in ihrer Größe nur unwesentlich, und bei gleichzeitig reduzierter Farbigkeit führt diese Malweise zu einem flirrenden Eindruck. Dennoch vermitteln die Bilder gleiche Inhalte wie solche mit Symbolen versehene.

Das Malen mit Punkten ist gleichzeitig ein Spiel mit Licht. Abhängig davon, wie die Punktbilder ausgeleuchet werden, wie sie im Licht stehen, werden Segmente der Bilder oder Punkte der gleichen Farbe hervorgehoben oder eher verborgen. Solche Bilder sind zumeist in einer sehr reduzierten Farbskala gemalt; hier spielt Farbe im Unterschied zu Licht eine untergeordnete Rolle.

Das Prinzip, das in der indigenen Kunst eine nicht unbedeutende Rolle spielt, nämlich die Bilder durch eine besondere Technik zum Leuchten oder Glänzen zu bringen, verfolgen einige Künstler durch einen sehr pastosen Auftrag der Farbe; der Glanz der Acrylfarben wird durch einen solchen Farbauftrag verstärkt. Gleichzeitig erzeugt er einen haptischen Eindruck, der auch gewollt ist. Eine weitere Methode, Leuchtkraft durch Maltechniken zu erzeugen, ist die Rarrk-Technik (Kreuzschraffur) in der Rindenmalerei.

Eine große Gruppe innerhalb der Malerei mit Acrylfarben stellen die Linienbilder dar. Der Ursprung dieser Bilder liegt ganz sichtbar in den Körperbemalungen für religiöse Ada Bird Petyarre, Untitled, 1997, Acryl auf Leinwand, 85 x 61,5 cm und 86,5 x 61,5 cm, abgedruckt in: Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen (Hg.): Bilderwelten in Utopia. Holzschnitte und Gemälde von Aborigines, Speyer 2004, S. 86-87Zeremonien, wie auf den beiden Bildern von Ada Bird Petyarre aus dem Jahr 1997. Die linearen Motive - hier in außergewöhnlich starker Vergrößerung gemalt - handeln von der Körperbemalung bei Awelye, den Zeremonien der Frauen, und sind mit der Dornenechse verknüpft. Wenn Körperbemalungen auch der Ausgangspunkt war, so hat sich die Linienmalerei doch weit von der direkten bildnerischen Übernahme konkreter Vorgänge entfernt und benutzt sie nur noch als Inspirationsquelle. So erzählt das Gemälde von Turkey Tolson Tjupurrula von zwei Frauen, die auf ihrer Reise in den Norden von Walungurru (Kintore) an der heiligen Stätte Yuwalki rasteten und die mit dieser Stätte verbundenen Lieder sagen und Tänze tanzten. Die religiösen Rituale werden hier übersetzt in eine Malerei, die den Blick durch die sich verkleinernden Rechtecke und die zart abgestuften Farben immer tiefer ins Innere des Bildes zieht.

Anmerkungen

(1) Japaljarri und Jungarrayi sind Klassifizierungen von Verwandtschaft, die nicht auf der Blutsverwandtschaft basieren.

(2) Auf 1970 kann, von Vorläufern abgesehen, der wesentliche Beginn der Neuen Kunstbewegung festgelegt werden (vgl. Die Anfänge in Papunya).

(3) Altyerre ist der Name für Jukurrpa in der Sprache der Anmatyerre, zu der die Künstlerin gehört.