Land und "Landschaftsmalerei"

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 1: Foto (C) Elisabeth Baehr: Erdpigmente Ochre Pits, Nord AustralienIn dem kleinen Ort Warmun im Kimberley im Nordwesten Australiens lebt eine Reihe von Künstlern, die als bevorzugtes Malmaterial Erdpigmente und Leinwand benutzen. Es sind Erdpigmente, die von den Ersten Australiern seit alters her abgebaut (siehe nebenstehendes Foto), mit denen gehandelt wurde und die schon in den alten Felsmalereien und in Körperbemalungen für religiöse Zeremonien Verwendung fanden und finden.

Die Gemälde aus Warmun repräsentieren zunächst einmal Landschaften und enthalten oft Berge, Flüsse, Felsen und Höhlen aus Gegenden, in denen die Künstler früher lebten und arbeiteten, z. B. auf den Farmen als Viehtreiber oder Hausangestellte. Das Gemälde von Churchill Cann (Yoonany) mit dem Titel "Land der Texas Downs-Farm" ist ein solches Bild, und Churchill Cann (Yoonany) hat früher auf dieser Farm gearbeitet.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 2: Churchill Cann (Yoonany) (geb. ca. 1947), 1999, Land der Texas Downs-Farm, Erdpigment auf Leinwand, 100 x 140 cm, abgedruckt in: Aboriginal Art Galerie Bähr, Speyer, Kulturabteilung Bayer, Leverkusen, und Bayer Australia, Sydney (Hg.): Das Verborgene im Sichtbaren. The Unseen in Scene, Speyer 2000, Ausst. Kat., Cover und S. 49Das Gemälde zeigt eine von oben gesehene Landschaft, Berge, die von einem Flußlauf durchzogen sind. Man kann sagen, dass dieses und ähnliche Gemälde so etwas wie topographische Karten zeigen, ohne dass ein präziser Maßstab anzulegen wäre. D. h. die Einzelheiten der Topographie werden nicht in ihren tatsächlichen Entfernungen zueinander gemalt, in der Regel aber in der Richtung, in der sie zueinander stehen.

Zusammenhang von Bild und Landschaft

Das nebenstehende Foto - obwohl von einer anderen Gegend - zeigt deutlich den Zusammenhang von Gemälde und Landschaft. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Landschaftsmalerei, wie sie die westliche Kunst kennt. Weder zeigt die indigene Malerei idealisierte noch konkrete Landschaften in exakter, realistischer Abbildung. Selbst bei den Aquarellen der Künstler aus Ntaria (Hermannsburg) mit seinem außergewöhnlichen Vertreter Albert Namatjira geht es nicht um die möglichst getreue Abbildung einer bestimmten Landschaft. Sondern die Bilder bezeugen immer die innere Bedeutung, die das Land mit seinen Bezügen zur Schöpfung, zum indigenen Gesetz und zu den materiellen und spirituellen Ressourcen dem Menschen vermittelt.

Die Abbildung vom Land in der Form einer Aufsicht auf Landschaften ist ein häufiges Phänomen in der indigenen Kunst. Es ist auch nicht ungewöhnlich, wenn im gleichen Gemälde mehrere Ansichten vertreten sind, also sowohl Auf- wie Seitenansichten, ein Beleg dafür, dass die getreue Abbildung von Landschaften nicht von Bedeutung ist. Die Gemälde kennen in aller Regel keine Perspektive.

Malerische Übersetzung des Unsichtbaren

Diese besondere Art der "Landschaftsmalerei" ist nicht auf die mit Erdpigmenten beschränkt. Sie findet sich in der gesamten indigenen Kunst, wie das Beispiel "Yarllalya" von Nancy Naninurra zeigt.

Das Gemälde stellt einen Ausschnitt des Landes dar, das zum Vater der Künstlerin gehört und südlich von Wirrimanu (Balgo) in der Great Sandy Desert liegt. Die mäandernden schwarzen Linien zeigen einen Fluss in diesem Gebiet. Entlang des Flusses hat sich zwischen kleinen Hügeln - hier als U-Formen dargestellt - ein Teich größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 3: Nancy Naninurra (geb. ca. 1933), Yarllalya, 2000, Acryl auf Leinwand, 118,5 x 79,5 cm, abgedruckt in: Aboriginal Art Galerie Bähr, Speyer, (Hg.): Das Verborgene im Sichtbaren. The Unseen in Scene, 2. Aufl., Speyer 2002, Ausst. Kat., S. 104gebildet, im Zentrum des Bildes als schwarze langgezogene Form erkennbar. Die kleineren konzentrischen Kreise repräsentieren die für diese Gegend typischen Bäume, und der Hauptteil des Bildes zeigt Sanddünen, die die Landschaft prägen.

An diesem Gemälde und insbesondere an der verschobenen Darstellung von Fluss und Teich ist zu erkennen, dass nicht einfach das Abbild der Landschaft oder nur charakteristische Details der Landschaft gezeigt werden, sondern dass immer eine malerische Umsetzung mit all ihren künstlerischen Freiheiten stattfindet. Es wird nicht einfach das Sichtbare abgebildet, sondern die hinter den Dingen stehenden Bedeutungen oder die Spiritualität, die im Land enthalten ist, sind das Wichtige in dieser Malerei. Man sieht in diesen Bildern also zwei Dinge: Einerseits ein bestimmtes Stück des Landes, andererseits das Geistige, das in ihm enthalten ist.

"Landschaftsmalerei" in der sog. Städtischen Kunst

Selbst die "Landschaftsmalerei" von indigenen Künstlern, die in den Großstädten arbeiten, erfährt eine Aufladung von Bedeutung, sobald sich diese Künstler ihrer Herkunft stellen. Beispiel dafür sind Werke von Lin Onus (1948-1996), der als westlich geprägter Landschaftsmaler begann. Er lebte in Melbourne, gehörte väterlicherseits zu den Yorta Yorta, seine Mutter stammte aus Glasgow; sein Vater war seit den 1930er Jahren einer der indigenen politischen Aktivisten in Südaustralien, was die Kunst von Lin Onus zunächst aber nicht beeinflusste.

Erst als er intensiven Kontakt zu Künstlern aus Arnhem Land aufnahm, insbesondere zu Jack Wunuwun und John Bulun Bulun, und in das klassifikatorische Verwandtschaftssystem aufgenommen wurde, wandelte sich seine Landschaftsmalerei entscheidend, was ihren Inhalt angeht. Denn es waren jetzt nicht mehr nur einfach Landschaftsabbildungen, sondern sie transportieren eine Absicht und Bedeutung.

größeres Bild im neuen Fenster. Abb. 4: Lin Onus (1948-1996), Barmah Forest, 1994, Acryl auf Leinwand, 183 x 244 cm, Abgedruckt in: Neale, Margo (Hg.): Urban Dingo - The Art and Life of Lin Onus 1948-1996, Queensland Art Gallery, Craftsman House, Brisbane 2000, Ausst. Kat., S. 76Das Bild zeigt eine Flusslandschaft des Murray River, deren ruhige Schönheit gebrochen wird durch herausgelöste Puzzelstücke; bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass sie nicht wieder in die Flächen eingefügt werden können. Das Motiv der Puzzlestücke mit seiner inhärenten visuellen Täuschung, das Lin Onus in vielen Arbeiten benutzt, symbolisiert die Brüche in der australischen Geschichte, den Kampf um Identität und die Zerstörung der Umwelt. Erst zwei Jahre vor Entstehung dieses Bildes, mit dem der Künstler 1994 den renommierten National Aboriginal and Torres Strait Islander Art Award gewann, erfuhr Lin Onus, dass der Barmah-Wald Teil des Landes ist, das aufgrund seiner Herkunft zu ihm gehört, seine spirituelle Heimat ist.